Das Übersetzen neugriechischer Literatur ins Deutsche empfinde ich als Bereicherung in meinem Leben. Wenn ich mich in den Autor oder die Autorin hineinversetze, lerne ich stets etwas Neues hinzu.
Literarisches Übersetzen ist eine enorm verantwortungsvolle Aufgabe. Einerseits darf man nicht zu nah am Original kleben, andererseits nicht zu sehr interpretieren. Bis heute profitiere ich sehr von meinem Studium der Griechischen Philologie an der Aristoteles-Universität Thessaloniki, das mir das entsprechende Handwerkszeug vermittelt hat.
Die neugriechische Literatur birgt noch viele Schätze, die geborgen werden wollen.
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Im Herbst 2024 wird von A. Deligeorgi der „Brief an Hermann Broch“ erscheinen
Athen, 31. Januar 2024
Geschätzter Hermann Broch,
Mein Brief ist eigentlich nicht an Sie persönlich adressiert, denn Sie wissen längst, worüber es mich zu schreiben verlangt. Der Brief richtet sich an eine jüngere Leserschaft in der Gewissheit und mit dem Wunsch, dass sie je zahlreicher werden möge, desto länger die Leere das Selbst in ein Nicht-Selbst verwandelt und die Überlegenheit der Vernunft in der Stille der Geschwätzigkeit ertränkt wird. Sie wissen ja auch, dass zunächst die tief schlummernde Sensibilität des Blickes geweckt werden muss, um die zu Grunde liegende Fähigkeit zur Reflexion zu erwecken.
Dies ist auch ein Grund, geschätzter und verehrter Broch, warum mein Brief Dringlichkeitscharakter hat, denn wer hätte gedacht, dass wir nach dem Dreikaiserjahr 1888 und so vielen darauf folgenden einschneidenden Jahren, die den aufkommenden Sturm der Leere vorzeichneten oder gar herausschrien, dass wir danach erneut Zeugen dessen würden, was wir nun seit einiger Zeit beobachten, nämlich ein sich Aufblähen dieser Leere, gleich einem mit der Luft abgrundtiefer Rivalitäten gefüllten Ballon. Einer Leere, die erneut auf der Jagd nach Unendlichkeit außerhalb der Endlichkeit in Erscheinung getreten ist, als ob die Phasen der vorausgegangenen Vernichtung in Vergessenheit geraten wären. Und nun verschlingt uns das Nichts – wie ein Geier mit Klauen und Schnabel, mit denen wir ihn selbst ausgestattet haben –, und wir sehen apathisch zu, als geschehe nichts Beunruhigendes.
Ich lernte Sie durch den ersten Band Ihrer meisterhaften Trilogie Die Schlafwandler um die schläfrige Romantik des Helden Pasenow kennen, auf den ich gleich die anderen beiden Bände folgen ließ: den zweiten, fünfzehn Jahre später spielenden Band um Esch und die Anarchie der Belle Époque sowie den wiederum weitere fünfzehn Jahre später einsetzenden dritten Band zum Ende des Ersten Weltkriegs, der die Beziehung zwischen dem elsässischen Huguenau, Pasenow und Esch thematisiert – einer so zynischen und amoralischen Beziehung, dass nur die Sachlichkeit sie nüchtern darzustellen vermag: Drei Bände, wenn auch nicht elegant, so doch auch keineswegs unstrukturiert, die mit der üblichen skandalös nachlässigen Verspätung erst 1987 und 1988 auf Griechisch erschienen sind, als ob Griechenland nach all dem, was es hat durchstehen müssen, es nicht ertrüge, all das zu rekapitulieren, was aus seinem harten Kampf hervorgegangen ist, und das Dämonische mit dem Rationalen in eigenen Dichtungen zu vereinen. Aus Ihrer Warte als Wiener Platoniker muss das unverzeihlich wirken, bedenkt man die drückende Bürdedes kulturellen Erbes, die auf unseren Schultern lastet. Zu unserer Entlastung sollten Sie aber immerhin bedenken, wie oft wir einer ruinösen Zerstörung zum Opfer gefallen sind.
Die Bekanntschaft mit den Schlafwandlern – dem ersten Meisterwerk Ihrer literarischen Laufbahn – machte ich in einer Zeit, als auch ich im nächtlichen Zimmer aus Angst vor enthüllenden Träumen wie ein Schlafwandler hin- und herlief, den im Wachzustand nach der wohltuenden Regungslosigkeit des Schlafs verlangt. Wenn ich damals, zur Zeit des Mauerfalls, mir fest vornahm, die drei schmalen Bände aufmerksam zu lesen, und sie ehrfürchtig neben die gelesenen Bücher einer trägen Jugend ins Regal stellte, neben die Bücher und Tagebücher von Kafka, Musil, Thomas Mann und dessen Sohn Klaus Mann, die Duineser Elegien und die Aufzeichnungen des Malte Lauritz Brigge von Rilke, dann deshalb, weil ich wie vom Blitz getroffen war, als ich feststellen musste, dass das vierte und letzte der ansonsten gleichlangen und in etwa gleichartigen Kapitel des zweiten Bandes Ihrer Trilogie, die Sie der Romantik und der Anarchie widmeten, skandalös knapp war: es umfasste gerade einmal zehn Zeilen.
Ich erschrak, weil ich mein eigenes Buch auf dieselbe Art mit einem sehr kurzen Kapitel von drei Zeilen beendet hatte, sodass der Leser am Ende des elften Kapitels Gefahr läuft, das Ende der Geschichte zu verpassen, sollte er die Seite nicht umblättern. Ich hatte das Buch 1980 beendet, als ich von Ihrer Existenz als Schriftsteller noch nichts wusste und mich rühmte, für das Ende meines ersten Romans ein neues Verfahren erfunden zu haben. Nur ein Jahr zuvor hatte ich einem befreundeten Schriftstellerkollegen aus Paris Der Tod des Vergil geschickt, aber damals, mit dem Fasten, das ich mir auferlegt hatte, als ich meine intellektuelle Neugierde stillen wollte, die mich schon seit meiner Kindheit umtrieb, waren es andere Dinge, die michplagten, meine Doktorarbeit in Philosophie und mein ideologischer Liebesroman Androgeos (gr. Originaltitel Ανδρόγυς).
Offener Brief: Alexandra Deligiorgi an Hermann Broch
Alexandra Deligiorgi wurde in Thessaloniki geboren und lebt in Athen. Sie studierte Philosophie an der Aristoteles-Universität Thessaloniki und Soziologie/Ethnologie an der Sorbonne. Sie ist emeritierte Professorin für Philosophie (Aristoteles-Universität Thessaloniki). Sie hat Beiträge für philosophische und literarische Zeitschriften verfasst und schreibt für die Presse. Sie ist Autorin von philosophischen Studien, Essays, Romanen und Erzählungen. Sie wurde 1998 mit dem Staatspreis für Essayistik und 2012 mit dem Nikos-Themelis-Romanpreis ausgezeichnet. Ihr offener Brief an Hermann Broch wird demnächst in der Edition Romiosini veröffentlicht. In dieser Vorabveröffentlichung bieten wir Ihnen einen Auszug aus dem Offenen Brief.
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Im Herbst 2023 ist von Aristide Antonas „Das Schaufenster“ erschienen
Der 1963 in Athen geborene Aristide Antonas, Architekt, Philosoph, bildender Künstler und Schriftsteller, legt in seinem ersten auf Deutsch in der Edition Romiosini / CeMoG erscheinenden Text „Das Schaufenster“ eine philosophische Erzählung mit kriminalistischen Elementen vor, in der der besessene Protagonist Tarken seine eigene Befindlichkeit in Bezug zu den ihn umgebenden „Gegenständen“ beobachtet.
„Lederportemonnaies mit tausendfach befingerten schmutzigen Geldscheinen vergammeln übelriechend in meiner Tasche. Eine regelrechte Kloake, in der Notizen, Formulare und Gegenstände versinken und verwesen wie tote Mäuse. […] Ich ekele mich vor der Tasche. Manchmal ertrage ich es kaum, sie anzusehen oder nur an sie zu denken. Dann überwältigt mich Trauer, ich finde den Zustand der Tasche absolut unerträglich. Dann mache ich sie auf und spucke hinein. Ich spucke in die Tasche. […] Ich spucke hinein, um das saubere Blatt schmutzig zu machen, ich spucke auch, um mich gegen die schmutzige Tasche aufzulehnen.“
Tarken ekelt sich vor allen Gegenständen, und versucht, ihnen zu entkommen, verstrickt sich dabei aber in ein noch schlimmeres Dilemma. Auf der Flucht vor den Gegenständen entdeckt er eines Nachts einen ermordeten Mann in einem erleuchteten Schaufenster und beginnt sich vorzustellen, dass dieser inszenierte Mord eine symbolische Tragweite hat, die den Mord als solchen in den Schatten stellt. Tarken seinerseits begreift seine eigene Verbindung zu diesem Verbrechen nicht. Weitere Personen wie der „Büroleiter“, der ihn in eine Falle lockt, und der „Höhlenmann“, dem er in einem Lager in der Nähe des Fundortes der Leiche begegnet, wirken wie Spiegelbilder seiner selbst, die seinen inneren Monolog nach außen tragen. Der Leser gerät zunehmend in eine Rolle, in der er die Realität des Helden Tarken infrage stellen muss. Dadurch fordert Antonas seinen Leser zu Wachsamkeit auf und erlaubt es ihm nicht, sich auf seine Rolle als „Konsument“ der Erzählung zu beschränken. Was verbindet Tarken und die Leiche im Schaufenster? Diese Frage ist nicht leicht zu beantworten.
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„Gastmahl eines Gelehrten“
Kürzlich erschienen:
Gastmahl eines Gelehrten von Christos Zouraris auf Deutsch in Übersetzung von Maria Zafón
Im antiken Griechenland gab es sogenannte Gastmahlgelehrte, die sich während einer Mahlzeit über essensrelevante Themen unterhielten. Von dem unter dem Titel Das Gelehrtengastmahl bekannten Werk von Athenaios sind solche Gespräche mit wertvollen Informationen über die Kultur in der Antike überliefert.
Der Titel dieses in Vergessenheit geratenen Werks dient in abgeänderter Form – Gastmahlgelehrter – einem Schriftsteller als Pseudonym, der sich mit der Rolle des Geschmacks in der griechischen aber auch in der französischen Küche beschäftigt. Der Gastmahlgelehrte protokolliert keine Gespräche, sondern er verfasst ausführliche Kommentare prinzipiellen Charakters, die nichts mit Kochrezepten oder Benimmregeln bei Tisch gemein haben. Es werden die Philosophie des guten Geschmacks, seine Ästhetik, soziologische Aspekte und kulturelle Dimensionen der griechischen Küche thematisiert. Dabei geht es um die Verfeinerung des Geschmacks als alternative Methode für ein gutes Leben.
Bestellbar bei der Edition Romiosini https://bibliothek.edition-romiosini.de/catalog/series/belletristik
ISBN: 978-3-946142-93-5
Seiten: 132
Rezension in der Griechenland Zeitung, 23. November 2022
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„Kadmo“
Bildquelle: Edition Romiosini
Kadmo von Melpo Axioti !
Kadmo (1972) ist der Schwanengesang der Melpo Axioti (1903-1973), in welchem die Agonie der ins Exil verbannten zentralen Heldin wiedergegeben wird, die Erinnerung an ihre Sprache und Heimat zu bewahren.
In diesem berührenden inneren Monolog tauchen viele der Helden aus ihren früheren Büchern wieder auf und leisten der einsamen Kadmo Gesellschaft. Während sich Kadmo an ihre früheren Schriften erinnert, kommen ihr unweigerlich auch die verschiedenen Phasen ihres Lebens in den Sinn, in denen sie diese geschrieben hatte.
Bestellbar bei der Edition Romiosini https://bibliothek.edition-romiosini.de/catalog/series/belletristik
ISBN: 9783946142379
Seiten: 116
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„Die Schiffswache“
Bildquelle: Unionsverlag
Nikos Kavvadias
Die Schiffswache
Roman
Unionsverlag, 2012Aus dem Griechischen von Maria Zafón
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„Zehn Gedichte“
Yannis Stiggas, Zehn Gedichte,
Poesiefestival Berlin 2010, Mittelmeer
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„Begrabene (lebende) Geschichte“
Michel Fais, Begrabene (lebende) Geschichte,
in: Lyrik und Prosa aus Griechenland, Oktober 2001
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„Und trotzdem“
Dimothenis Kourtovik, Und trotzdem, in: «Geheime Auswegeim Blau»,
Lyrik und Prosa aus Griechenland, Oktober 2001
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„Barbecue“
Petros Tatzopoulos, Barbecue, Erzählung,
in: «Die Erben des Odysseus», dtv, September 2001
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„Die China-Restaurant-Krankheit“
Aris Sfakianakis, Die China-Restaurant-Krankheit, Erzählung,
in: «Die Erben des Odysseus», dtv, September 2001
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„Ihr rotgefärbtes Haar“
Bildquelle: amazon
Kostas Murselas
Ihr rotgefärbtes Haar
Roman
Romiosini Verlag, 1997Aus dem Griechischen von Maria Zafón (geb. Petersen) und Nina Bungarten